Zwischen Snapchat, Nike Air Max und Greta Thunberg – Der ganz normale Teenie-Wahnsinn
Plus.Kinderyoga.de-Redaktionsleiterin Andrea Helten wagt einen kurzen Abstecher in die Neurowissenschaft und warum Yoga in dieser schwierigen Zeit für Jugendliche eine wahre Kraftquelle sein kann
Jugendliche – das sind doch die, die den ganzen Tag online sind, oder? Die laut sind und frech und keinen Respekt haben. Die auf dicke Hose machen und nur Markensneaker tragen. Die, die freitags immer die Schule schwänzen – weil ihnen das Klima wichtiger ist als ihre Noten….
Ja, so werden Teenies in der Öffentlichkeit gern dargestellt. Dass dies Vorurteile sind, die oft mit der Realität nicht viel zu tun haben, wissen wir spätestens dann, wenn wir uns an die eigene Pubertät zurückerinnern. In das Chaos von sich veränderndem Körper, erwachender Sexualität, Streit mit den Eltern und einem totalen Wiederfinden in Musik und Popstars. In der Pubertät ändert sich einfach alles – und doch hat es oft mit Beziehungen zu tun. Selbstliebe, Akzeptanz von der peer group, die erste Freundin – das Leben steht kopf, fühlt sich gigantisch und im nächsten Moment schon wieder katastrophal an.
Aber was passiert da eigentlich in der Pubertät?
So einiges. Nicht nur reift der Körper heran (womit auch wir Eltern erst einmal klarkommen müssen :-)) und die Hormone spielen verrückt. Auch im Kopf stehen die Zeichen auf Entwicklung. Das Gehirn wird quasi neu programmiert, es werden Neuverschaltungen vorgenommen. Und diese geschehen nun mal nicht im gleichen Tempo. Gerade der Bereich des Frontalkortex benötigt ziemlich lange (bis circa 20 Jahre), ehe er sich zu dem eines Erwachsenen umgewandelt hat. Durch diese „Baustelle“ im Kopf wird natürlich das Auftreten des Teenies stark beeinflusst. Die positive Nachricht: Das Potenzial des Gehirns erhöht sich – dadurch wird Lernen und die Verarbeitung von Informationen quasi zu einem Kinderspiel. Auch das Argumentieren prägt sich aus – wer schon einmal mit einer 14-Jährigen diskutiert hat, weiß, was ich meine 🙂
Allerdings – und das ist wahrscheinlich die eher schlechtere Nachricht – ist Dopamin (der Glücksbotenstoff) im Verhältnis zum Erwachsenen beim Teenie scheinbar eher Mangelware. Heißt: Teenies brauchen mehr „Teenage Kicks“ – wie schon The Undertones sangen. Erst dann wird ausreichend Dopamin ausgeschüttet. Was aber bedeutet das? Die Bereitschaft dazu, Drogen und Alkohol zu konsumieren, aber auch Mutproben oder riskante Thrills zu erleben, steigt scheinbar – eben wegen diesem Dopamin-Mangel.
Die Dopamin-Hypothese – nur eine der Erklärungsversuche
Diese sogenannte „Dopamin-Hypothese“ wird oft herangezogen, um das Verhalten von Jugendlichen zu erklären. Sie wird jedoch immer noch kontrovers diskutiert. Und sicher ist sie nicht allein die Erklärung dafür, warum Jugendliche es in der Zeit zwischen 11 und 17 Jahren so schwer haben.
Denn bei Teenies passiert viel mehr: Das gesamte Selbstkonzept gerät ins Wanken. Teenies wollen oftmals cool gelten, denn was andere (und hier natürlich: die Peergroup) über sie denken, ist ziemlich wichtig. Da reichen oftmals schon Blicke, damit man sich nicht wohl in der eigenen Haut fühlt… Also geht man lässig über Rot über die Ampel, probiert in der Schulpause kurz mal Rotwein aus, transportiert den ersten Joint in der Tasche – und gibt sich insgesamt recht abgebrüht. Testosteron sei Dank! Leider ist die Gefährdung von Jugendlichen im Straßenverkehr erschreckend hoch.
„Wer bin ich?“
Das ist die zentrale Frage in der Pubertät. Und hier sind alle Nuancen vorhanden – vom Gefühl des Mangels („andere haben viel dünnere Beine/größere Brüste/eine kleinere Nase/einen cooleren Style/mehr Selbstbewusstsein/lässigere Eltern“) bis hin zu einem Gefühl der absoluten Fülle („ich bin der/die Größte/Coolste/Mutigste, habe die schönste Freundin/die krassesten Pornos auf dem Handy/ die teuersten Sneakers“).
Nun ist aber der frontale Kortex im Gehirn für Selbstkonzept und Persönlichkeit zuständig. In diesem Bereich geht es um Impulse und Emotionen. Die Präfrontalkortex-Region reift, wie bereits erwähnt, aber nun einmal als eine der letzten Bereiche des Gehirns heran. Daher ist es auch „typisch Teenie“, dass das Abwägen von Konsequenzen einer Handlung eher vernachlässigt wird. Vorausschauend zu handeln ist also eher mau.
Zusätzlich ist es immens wichtig, sich von den Eltern zu emanzipieren. Und dass dies nicht unbedingt heimlich, still und leise von statten geht, ist verständlich – ja sogar eine Pflicht. Verstöße gegen die abgemachten Regeln, ein Über-die-Stränge-Schlagen, ja, schockierendes Verhalten – manchmal ist es vielleicht Mama und Papa nicht anders vermittelbar, dass man schon längst nicht mehr „der kleine Benni“ ist.
Doch es gibt auch die anderen, die stilleren Jugendlichen
Solche, die dem immensen Schulstress scheinbar widerstandslos standhalten. Die viel lernen und wenig Wut zeigen, ja eher still und zurückgezogen agieren. Das freut sicher die Erwachsenen und dennoch sollten Eltern hier genau hinschauen. Denn nicht selten sind es gerade die Fleißigen, die sehr leistungsorientiert sind und dabei nicht selten über ihre eigenen Grenzen gehen. Die pausenlos lernen und eine Migräne entwickeln.
Und psychosomatische Erkrankungen, weil sie unbedingt funktionieren wollen. Die nahe am Burnout balancieren und sich Ritalin besorgen, damit sie im Abi Traumnoten erzielen. Denn ist es nicht das, was die Gesellschaft von ihnen verlangt: schon früh leistungsorientiert zu sein?
Eine mehr als schwierige Zeit also, diese Teenie-Zeit. Wir Erwachsenen können unsere Kinder in diesen Jahren unterstützen – mit einer wohldosierten Mischung aus Nähe und Distanz. Eine wahre Kunst ist es, diese Balance zu spüren. Und so ist es auch eine Zeit, in der Eltern sehr feinfühlig agieren müssen. In der sie vorsichtig signalisieren, jederzeit zu einem Gespräch auf Augenhöhe bereit zu sein. Aber es auch ertragen können, wenn ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen wird.
Und wie kann Yoga die Jugendlichen unterstützen?
Er kann zuallererst ganz pragmatisch dem Gefühls-Wirrwarr beruhigende und ausgleichende Haltungen entgegensetzen: Vorbeugen, die die Aufmerksamkeit nach innen lenken. Standhaltungen und Armbalancen, die die eigene Kraft und das Durchhaltevermögen anschaubar machen. Flows, die das Angebundensein an Musik in dieser Zeit mit kreativen Asana-Sets verbinden. Partnerübungen, die einerseits den Fokus von sich selbst hin zu einer Verbindung mit dem anderen shiften. Und andererseits dabei helfen, eine gewisse Fehlertoleranz zu entwickeln – eben nicht perfekt sein zu müssen im Doppelbaum, im doppelten Krieger.
Atemübungen, die dabei helfen, in den eigenen Körper hinein zu spüren und die inneren Räume zu öffnen. Mudras, die Kraft spenden. Die Arbeit mit ätherischen Ölen, die je nach Wirkung über die Nase beruhigen, anregen und die Konzentration stärken.
Der regelmäßige Yogaunterricht bietet auch gleichsam einen geschützten Space, um über die eigenen Probleme zu reden. Sich auszutauschen und zu merken: „Ich bin nicht allein. Anderen geht es ähnlich.“
Wenn du also Teenie-Yoga unterrichtest, sollte deine erste Frage in der Stunde stets sein „Wie geht es dir heute? – Was brauchst du?“. Hör genau hin, was die Jugendlichen äußern – und dann entscheide, wie du mit ihnen gemeinsam die Stunde füllst. Vielleicht ist es hilfreich, den Teenies mitzugeben, dass der Yogaunterricht ihre persönliche Stunde ist: in der sie so sein können, wie sie möchten. Ohne Vorurteile und ohne Erwartungen.
„I’m easy like sunday morning“
Yoga kann zu mehr Gelassenheit von Jugendlichen führen. Und Gelassenheit ist es eben auch, die wir Erwachsenen – egal, ob Yogalehrer oder Eltern – im Umgang mit den großartigen Teenies unbedingt und immer wieder aufs Neue benötigen.
Buchempfehlungen
Beate Cuson: „Flow Yoga“
Erica Jago und Elena Brower: „Die Kunst der Aufmerksamkeit – Yogapraxisbuch“
Tara Guber: „Yoga für Kinder – 50 entspannende Übungen“