Teil 1: Kinderyoga als ein Bildungsort – Was bedeutet das?
Wer mit Kindern zusammenarbeitet wird sich schon oft gefragt haben: Was möchte ich den Kindern mit an die Hand geben? Welchen Einfluss hat mein Wirken? Müssen gewisse Ziele verfolgt und erreicht werden? Oder, Wie geschieht eine Wissensvermittlung ganz ohne Druck und mit viel Freude?
Unsere Redakteurin Christine Stephan geht diesen Fragen auf den Grund. Dafür beleuchtet sie Begriffe wie „Lernen, Bildung und Bildungsorte“ und schildert die Wichtigkeit des Kinderyogas, als ein Ort für den Antrieb lebenslanger Lernprozesse.
Kinder sind von Grund auf neugierige, forschende und kreative Wesen.
Mit alle ihren Sinnen und mithilfe ihres natürlichen Bewegungsdrangs erschließen sich Kinder ihre individuelle Umwelt. Sie handeln stets intuitiv und stellen immer wieder Fragen an die Welt und zu sich selbst. Je nach Alter können auch Fragen jenseits der sichtbaren Welt, über die Sinnhaftigkeit gewisser Dinge, der Wert ihres Selbst, oder über Leben und Tod aufkommen. Sind Kinder in einem sicheren Umfeld eingebettet, finden sie oft eigene kreative Lösungswege für ihre Problematiken. Um Kindern aber eine nachhaltige Wissensvermittlung und somit lebenslange Bildungs- und Lernprozesse ermöglichen zu können, sollte es immer einen Weg geben, Antworten auf ihre natürliche Unbeholfenheit zu geben.
Was steckt hinter den großen Worten „Bildung, Lernen und Bildungsauftrag“?
+ Sich zu bilden meint, sich zu entwickeln, zu einer individuellen Identität zu finden und seine Persönlichkeit frei zu entfalten. Es geht außerdem darum, sein Ich mit der Welt zu verknüpfen, handlungsfähig und gesellschaftsfähig zu werden und somit eine Balance zu schaffen, zwischen der eigenen inneren Welt und der sozialen Umwelt.
Wo Bildung vorherrscht, ist Lernen nicht weit.
+ Die wichtigste Grundlage von allen Bildungsprozessen ist und bleibt das Lernen. Zu Lernen bedeutet, sich auf seine Umwelt einzustellen und damit Verhaltensweisen, Einstellungen und Fähigkeiten zu erwerben, zu entwickeln, zu erweitern, oder anzupassen.
+ Und hinter dem Wort Bildungsauftrag verbirgt sich nichts Geringeres, als die verpflichtende Aufgabe für Bildung zu sorgen und geeignete Bildungsangebot für alle Menschen zu erschaffen. An diesen Angeboten sollten alle, gemäß ihrer persönlichen Voraussetzungen, teilhaben können.
Orte für Bildung und ihre Anforderungen
Damit sich Kinder ausreichend bilden und entwickeln können werden drei verschiedene Arten von Bildungsorten unterschieden:
+ formale Bildungsorte
Als formale Bildungsorte gelten diese, welche didaktisch strukturiert, ausgerichtet auf explizite Lernziele und demnach verpflichtet sind, für Bildung und Wissensaneignung zu sorgen (z.B. Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten). Solche Einrichtungen müssen verbindlichen Bildungsstandards folgen und sind mit einer Leistungserbringung für den Erwerb eines Zeugnisses verbunden.
+ non-formale Bildungsorte
Unter non-formalen Bildungsorten verstehen sich Einrichtungen, welche ebenfalls inhaltlich strukturiert und geplant sind. Sie zielen auf eine Wissensvermittlung ab, können aber dennoch freiwillig in Anspruch genommen werden (z.b: Kurse an Volkshochschule, Weiterbildungen etc.).
+informelle Bildungsorte
In diese erfolgt Bildung ungeplant, unbeabsichtigt, eher beiläufig und bezieht sich auf einen lebenslangen Lernprozess. Diese Prozesse werden angetrieben durch tägliche Erfahrungen mit der eigenen soziale, materielle und kulturelle Umwelt (z.B. innerhalb der Familie, unter Freunde, im Umgang mit Medien, in Bibliotheken, Museum etc.). Sie dienen auf natürliche Weise dem Erwerb von Verhaltenseisen, Werten, Fähigkeiten und Wissen. Es ist eine Art freiwilliges und intuitives Lernen, außerhalb von standardisierten Bildungseinrichtungen.
Wo genau ordnet sich der Kinderyoga jetzt ein?
Eines ist ganz klar: im Kinderyoga bestehen keinerlei Verpflichtungen zum Lernen, oder zur Wissensaneignung und es sollte schon gar kein Leistungsdruck vorherrschen. Der intuitive Spaß am Tun, am körperlichen Erleben und am sozialen Miteinander sollte bei den Kindern und bei uns Lehrenden stets oberste Priorität haben.
Dennoch lässt sich diese Frage nicht ganz eindeutig beantworten. Klar, die meisten Kinderyogaangebote sind feste Kurse, welche man bucht und die einem gewissen Konzept entsprechen, also strukturiert und geplant sind.
Kinderyoga als informeller Ort für Bildung
Allerdings verfolgt der Kinderyoga kein angestrebtes festes Ziel, welches die Kinder nach einem Kurs erreicht haben sollten. Hierbei geht es viel mehr um nachhaltige Werte, Verhaltensweisen und Einstellungen zu sich selbst und der Welt, welche angekurbelt werden sollen.
Durch die Art und Weise, wie wir Kinderyogalehrende unterrichten, können wir nachhaltig für neue Erfahrungen, persönliche Entwicklung und Wachstum bei den Kindern sorgen. Dies äußert sich bei jedem Kind in ganz unterschiedlicher Form und kann somit auch nicht gemessen, oder verglichen werden. Daher kann man den Kinderyoga auch zu einem informellen und intuitiven Ort der Bildung zuordnen, an dem ganz ohne Druck und mit viel Freude und Freiwilligkeit gespürt, erlebt, gefühlt, erzählt und gelernt werden kann. Über die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen, Stundenbildern und Haltungen erfahren die Kinder eine sehr spielerische Wissensvermittlung und erweitern auf ganz natürliche Weise ihren Horizont.
Lernen ist ein sozialer Prozess
Bildung und Lernen sind stets soziale Prozesse. Gerade Kinder lernen von klein auf in einem gemeinsamen Austausch von und mit anderen. Sie benötigen daher immer wieder Rückmeldungen, Antworten und Hilfestellungen, um ihr Verhalten und ihre Sichtweisen auf sich selbst und ihre Welt zunehmend eigenständiger reflektieren und einordnen zu können. Daher ist die Qualität der Unterstützung und der Begleitung durch erwachsene Bezugspersonen entscheidend. Individuelle Erfahrungen aus der Kindheit, können nachhaltig und entscheiden für den weiteren Lebensweg eines Kindes sein. Kinder betrachten Erwachsene als Vorbilder und schauen sich alles von ihnen ab.
In einem sozialen Gruppengefüge mit anderen Kindern, wie z.B. in einem Kinderyogakurs, erwerben Kinder ganz automatisch soziale und gesellschaftsfähige Umgangsformen. Fragen können gestellt und gemeinsam beantwortet werden. Über die bewegte Auseinandersetzung mit bestimmten Themen, lernen sich Kinder zunehmend selbst besser kennen und auch ihr Sein und Wirken innerhalb einer Gruppe.
Unsere Verantwortung als Yogalehrende
Wenn wir nun gemeinsam mit Kindern Yoga praktizieren, ist diese für uns Kinderyogalehrenden mit einer gewissen Verantwortung verbunden. In unserer Art und Weise, wie wir den Kindern begegnen, wie mir mit ihnen sprechen und wie wir die gewisse Gruppendynamik aufgreifen, nehmen sich Kinder dies auf kurz oder lang sehr zu Herzen. Durch unser Verhalten und unser Handeln, leisten wir einen ganz entscheidenden Beitrag dafür, ob sich ein Kind der Gruppe zugehörig fühlt, ob es aufrichtige Anerkennung und Wertschätzung erfährt und ob es sich als selbst wirksam, kompetent und wertvoll fühlt.
Durch unser Sein und unser Wirken können wir Kindern ganz natürlich dazu verhelfen, ihre eigene Persönlichkeit und ihr Potenziale zu entfalten, sich die Welt schrittweise zu erschließen und sich in einem sozialen Miteinander zurecht zu finden. Durch unser Vorbildwirken, haben wir einen bedeutsamen Einfluss auf die lebenslangen Bildungsprozesse der Kinder.