Die Verwandlung – jedes Kind kann Yoga!
Unsicher, unselbstständig und unkonzentriert – so wurden unserer Autorin die neuen Erstklässler von viele Erzieher*innen und Lehrer*innen nach dem ersten Pandemie-Jahr beschrieben. Anders ist das Yogieren an der Schule auf jeden Fall, aber längst nicht ohne Hoffnung! Ein gutes Beispiel hat unsere Autorin Gina Duscher in petto, sie unterrichtet rund 60-70 Kinder pro Woche.
„Wir machen eine Schlange“ – und wie immer zeigt eine Gruppe von sechs Kindern sechs unterschiedliche Kobras. Königskobra und Klapperschlange zischen und schlängeln. Dass Kinder Übungen auf ihre Art interpretieren oder ganz sein lassen, ist Alltag von Yogalehrenden.
Dass sie aber von Übung zu Übung hasten, sich kaum auf eine einlassen, es ihnen schwerfällt, ihren Körper zu kontrollieren. Und sie unendliche Mühe dabei haben, sich zu fokussieren, ist neu – zumindest in diesem Ausmaß. Es zieht sich durch alle Altersgruppen, am deutlichsten spürbar bei den Allerkleinsten, den Erstklässlern. Gerade die Sechs-, Sieben-Jährigen brauchen sehr viel Aufmerksamkeit und Zuwendung.
Ich fühle mich überfordert
Dazu ein Praxis-Beispiel. Leila ist 6, schwarze dichte Locken und große braune Augen. Ein zierliches Kind, fast schon zerbrechlich. Ihre Nase läuft immer, ihr Blick ist trüb. Sie wirkt abwesend. Auf dem Schulflur genauso wie im Yoga-Unterricht. Bei den Übungen ist sie sehr ängstlich, traut sich so gut wie nichts zu. Ihr Mantra: „Ich kann das nicht…“ Mit der Gruppe gemeinsam zu agieren, überfordert sie. Wenn es ihr zu viel wird, fängt sie an zu zittern, ist kurz vorm Weinen. Ich fühle mich überfordert, denn ich spüre, das Kind braucht sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit. Noch mehr als die andere fünf oder sechs Erstklässler der Gruppe ohnehin schon benötigen. Mein übliches Repertoire wie Extra-Übungen, Pausen, Einzelgespräche hilft kaum. Ich bin nach einigen Monaten an dem Punkt, Leila „aufzugeben“. Es mir nicht so sehr zu Herzen zu nehmen, dass ich unter diesen Umständen wenig ausrichten kann.
„Seht alle her, ich kann das“
Dann kommt die letzte Kurs-Einheit vor den Ferien. Leila und ich sind allein. Wie durch ein Wunder sind alle anderen Kinder vom Kurs nicht da. Später wird noch ein Junge dazu kommen. Leila hat Lust auf Yoga mit mir. Die Übungen sprudeln aus ihr heraus. Alles, was wir in den letzten Monaten eingeübt haben, ist einfach da. Wenn sie unsicher ist, bittet sie mich um Hilfe. Auf dem Schulhof steht eine kleine Statue, ein Pferdefohlen*. Ich helfe Leila auf das Pferd, sie beugt sich nach vorne und nach hinten. Ich spürte, wie ihre anfängliche Angst zunehmend umschlägt in Freude und Stolz. „Seht alle her, ich kann das“ – scheint ihr Blick zu sagen. Ihre Augen strahlen, sie lächelt. Strahlt weiter, als wir für den Rest der Stunde Rollen tauschen und sie die Übungen festlegt. Und spätestens da realisiere ich, was in Leila steckt und erinnere mich an mein eigenes Mantra: Jedes Kind kann Yoga lernen. In seinem Tempo und auf seine Weise.
Warum Geduld so wichtig ist – immer wieder
Warum ich das aufschreibe? Weil es in jedem Kurs ein oder vielleicht sogar mehrere Kinder gibt, die uns herausfordern. Heute noch stärker als vor der Pandemie. Weil wir als Lehrende auch nur Menschen sind. Weil wir nicht jeden Tag yogischen Großmut und Gelassenheit im Gepäck haben. Aber auch, weil es sich lohnt, zu warten, bis das Kind oder die Kinder so weit sind.
Ich wünsche euch euren eigenen Leila-Moment, viel Geduld und Gelassenheit dazu.
Gina
*Sollte dies der Hausmeister von Leilas Schule lesen, dann bitte ich nochmals um Entschuldigung. Mir ist bewusst, dass das Pferd ein Kunstwerk ist und nicht genutzt werden darf. Für Leila war es ein großer und besonderer Moment. Und vielleicht hätte sich der Künstler gefreut, ein kleines Mädchen glücklich und stolz zu machen.
Zum Thema „Wenn einer stört“ – und was das mit dir als Lehrende*r zu tun hat, bieten wir am 31. Januar um 20 Uhr einen Live-Call für alle Mitglieder an. Mehr dazu hier.