Ich bin Lehrerin und unterrichte … Yoga!
Die Grundschullehrerin Daniela Cappelle beschreibt in diesem persönlichen Gastartikel, wie Yoga durch vielfältige Angebote in ihren Unterricht Einzug gehalten hat. Und inwiefern die Kinder, aber auch sie selbst vom Yoga in der Schule profitieren.
„Frau Caaaappeeeeelle“, hallt es über den Sportplatz, „wann ist wieder Yoga?“ Kurz danach kommen mir drei Drittklässlerinnen entgegen gerannt. Erwartungsvoll schauen sie in mein Gesicht und ich merke wieder einmal mehr, wie auch mir der Kurs fehlt.
Der Druck wächst
Einmal in der Woche darf ich an der Grundschule, an der ich auch als Lehrerin tätig bin, eine Yoga – Arbeitsgemeinschaft (AG) leiten. Seit nun fast 6 Monaten dürfen wir coronabedingt nicht mehr zusammen üben. Und das, wo es doch gerade jetzt so wichtig wäre. Für die Kinder ist die Zeit der Pandemie besonders schwierig zu ertragen und ich bin mir sicher, dass wir die Folgen dessen erst später merken werden. Es fehlt an Halt, Beständigkeit, an schönen Erlebnissen, an Gemeinschaft, an Austausch und vielem mehr.
Und wieder einmal mehr entsteht Druck. Druck, der auch so schon oft genug schulisch oder im sozialen Umfeld entsteht. Unabhängig von den großen äußeren Umständen (Leben in/ mit einer Pandemie, Leben als Geflüchteter/ mit Geflüchteten, Leben als Trennungskind und so weiter) werden Kinder heute sehr früh mit einem Alltag konfrontiert, in dem sie „funktionieren“ müssen, sehr schnell, sehr selbständig sein müssen. Nicht selten kann es dann zu einem Gefühl der Überforderung kommen. Neben dem schulischen Leistungsdruck sind die Kinder oft auch sozialem Druck ausgesetzt.
Das Wichtige gerät in den Hintergrund: Ich bin einzigartig
In meinem beruflichen Alltag als Grundschullehrerin bemerke ich schon lange, dass Kinder häufig versuchen, mithalten zu wollen, sich vergleichen und vergessen haben, sich selbst wichtig zu nehmen und als das anzunehmen, was sie sind: Einzigartig und voller Ideen.
Zudem sind Eltern oft beruflich und familiär stark eingespannt, so dass die Zeit zum Innehalten und Fühlen einfach nicht gegeben ist. Auch das Überangebot an Möglichkeiten, sich mit / durch materielle Dingen zu unterhalten, beeinflusst die Kinder und Jugendlichen. So vergessen sie häufig schon früh das, was eigentlich in ihnen angelegt ist. Den Blick nach innen zu richten, kreativ zu sein und Dinge zu tun, die nur für sie selbst sind und ihnen gut tun.
Und hier setzt Yoga an.
Yoga im Unterricht als Rückbesinnung aufs Wesentliche
Ob als kleines Ritual im Unterricht oder als feste Stunde in der Woche: Yoga bietet den Kindern die Rückbesinnung auf das, was sie ja eigentlich ausmacht: Unbeschwert zu sein, kreativ und frei.
Wenn wir auf Entdeckungsreise ins Regenbogenland gehen und dort Tieren begegnen, wie dem pinkfarbenen, dreibeinigen Elefanten oder der lustig hüpfenden Maus, dann ist es völlig egal, wie das gerade aussieht. Es macht einfach Spaß, bringt uns in Bewegung, körperlich und geistig. Auch mich, deshalb liebe ich Yoga mit Kindern.
Yoga in der Grundschule ist für mich nicht mehr wegzudenken und ich gestehe, das ist nicht ganz uneigennützig. Hier begegne ich den Schülern auf einer anderen Ebene, fern von Leistungsbewertung und Fachinhalten laut Rahmenlehrplan. Die kreativen Ideen, die die Schüler mitbringen, lassen auch mich aus festgefahrenen Schemen ausbrechen.
Ich übe auch sonst sehr gern Yoga für mich allein, finde es nicht immer leicht, mich an die festen Asanareihenfolgen einer Übungsleiterin zu halten. Geht es doch darum, nach innen zu hören. Und das kann doch eigentlich nur individuell sein.
So sieht Yoga in der Schule konkret aus
Beim Yoga mit den Kindern fällt genau diese festgelegte Anleitung weg. Ich gebe einen Rahmen, ein Thema vor und lenke ein wenig. Den Inhalt bestimmen die kleinen Yogis und Yoginis aber größtenteils selbst, indem sie Situationen, Figuren und Haltungen selbst vorschlagen. Ich versuche daraus je nach Situation eine für den Körper herausfordernde oder entspannende Abfolge zu machen.
Ich konnte bisher drei Varianten kennenlernen, Yoga in der Schule anzuleiten.
> Als Rituale im eigenen Unterricht (meist Klasse 1/2)
In kleinen Unterrichtssequenzen hilft es, sich neu zu fokussieren und es entspannt. Schon mein Tagesbeginn startet mit meiner Klasse von Erst-und Zweitklässlern mit einer Bewegungsabfolge von Yogahaltungen und einem Guten-Morgen-Spruch. Und die Kinder lieben es, erinnern mich, sollte ich es vergessen haben. Selbst in der Online-Unterrichtsstunde im schulisch angeleiteten Lernen zu Hause während der Pandemie haben wir so begonnen, jeder hinter seinem Schreibtisch und vor dem Computer und so ein Stück Gemeinschaft aufrechterhalten können.
Früher habe ich oft Bewegungspausen in den Unterricht eingebaut und fand es immer schwierig, die Kinder danach wieder zur Ruhe und in die Arbeitsphase zu bekommen. Heute gestalte ich diese Pausen lieber durch kleine Yogasequenzen und ruhigere Entspannungsübungen.
> Als Arbeitsgemeinschaft in Klasse 3/4
Ich habe das Glück, dass meine Schulleitung den Nutzen von Yoga selbst sehr schätzt und es mir ermöglicht, dies als AG für die 3./4. Klasse anzubieten. Die 9-10Jährigen sind zum Teil schon selbst mit Yoga in Berührung gekommen, oft durch die eigenen Eltern, die zu Hause üben.
Manchmal werden sie auch angemeldet, weil die Eltern sich erhoffen, dass ihr Kind hier lernt, zur Ruhe zu kommen oder sich besser konzentrieren zu können. Mädchen und Jungen gehen hier gemeinsam auf Entdeckungsreise und es ist schön zu sehen und hören, wie sich bestimmte Rituale bewähren, die Kinder sie immer wieder einfordern und zu Hause weitergeben. Die Kinder in dieser Altersklasse wollen meiner Meinung nach vor allem aus dem schulischen Rahmen ausbrechen dürfen. Sie lieben es, hier richtig Kind sein zu dürfen und nicht funktionierender Schüler und sich an anderen messender Mitschüler. Und das aber in dem schulischen Umfeld mit den eigenen Mitschülern und sogar mit der Lehrerin der eigenen Schule. Sie erleben ja auch mich in einem ganz anderen Kontext und das tut dem Lehrer-Schüler-Verhältnis wirklich gut.
Die Kinder haben nach meiner Erfahrung in diesen Stunden ein Bedürfnis nach Bewegung und Entspannung gleichermaßen. Die Stunden sind oft fantasievoll und kreativ und die Schüler bestimmen den Inhalt der Stunden aktiv mit. Gern werden auch Partnerübungen gemacht. Es ist ein Miteinander und doch individuell. Erste Yogahaltungen werden kennengelernt und geübt. Der spielerische Anteil ist aber höher und so kommt es zu Asanas, die es so noch gar nicht gibt, wie zum Beispiel die des dreibeinigen bunten Elefanten oder des silber-schwarzfarbigen Einhorns.
> Als Wahlpflichtkurs der 5./6.Klässler
Ich habe mich immer etwas schwer mit den vorpubertierenden 5./6. Klässlern im Unterricht getan. Nicht immer war es leicht, sie zum Unterricht zu motivieren oder auf ihre Befindlichkeiten einzugehen, wenn man ja eigentlich gerade Unterrichtsinhalte vermitteln will. Sie beginnen (zu Recht) zu hinterfragen, was wir von ihnen wollen und wofür das eigentlich wichtig ist. Und sie sind wirklich unter Strom. Schulischer Leistungsdruck, sich Vergleichen mit den Mitschülern nicht nur in schulischer Hinsicht, sich selbst neu entdecken, Freunde finden und verlieren und so weiter…
Deshalb war die Erfahrung eines Wahlpflichtkurses „Entspannung“ in dieser Altersklasse für mich so wertvoll und intensiv. Am Ende des Unterrichtstages gelegen, gab es ein großes Bedürfnis nach Entspannung. Aus diesem Grund habe ich diesen Anteil auch deutlich größer gehalten. Es war wirklich sehr berührend zu sehen, wie sich die 11/12 Jährigen darauf einließen, ihre Augen zu schließen und es schafften, abzuschalten. Und sie waren so dankbar für diese Stunde. Hier konnten sie sich 45 Minuten mal nur auf sich selbst besinnen und mussten sich nicht messen. Sie haben es sehr, sehr schnell angenommen, dass es wirklich nicht darauf ankommt, jetzt eine ganz tolle Yogaposition perfekt auszuführen, sondern auf das Innehalten und nach Innen schauen. Ich war beeindruckt und gerührt von diesem doch recht schnellen Umschalten auf Ruhe und Entspannung. Das können die Jugendlichen noch ziemlich gut. Man muss ihnen nur den Raum dafür geben. In ihrem Alltag ist da aber häufig kaum noch Platz, neben Schule und Sport- , Musik- oder/ und Tanzunterricht und weiteren Angeboten.
Deshalb empfinde ich es als umso wichtiger, es in den schulischen Alltag zu integrieren.
Egal in welcher Form: Yoga gehört für mich genauso in die Schule, wie die große Pause. Es entspannt, stärkt und verbindet. Es gibt uns einfach eine gute Zeit.
Und wenn die Senatsverwaltung sich damit leider immer noch schwertut, sucht man sich eben andere Wege, dem natürlichen Bedürfnis der Kinder, nach bewertungsfreien Momenten, in denen sie ihre Individualität und ihre Stärken erkennen, gerecht zu werden.
Deshalb meine Bitte: Macht einfach, liebe Lehrer-/innen, liebe engagierte Eltern, liebe Quereinsteiger-/ innen. Es gibt fast immer eine Möglichkeit, Yoga an die Schule zu bringen.