„Ich hatte Angst vor Jungs“
Ehrliche Bekenntnisse einer Kinderyogalehrerin
Unsere Redakteurin Maike Schößler weiß genau, was Mädels wollen. Als Mütter zweier Töchter fühlt sie sich auch in Kinderyogastunden mit Mädels pudelwohl. Als plötzlich Jungs in ihrem Kurs auftauchen, stößt sie so an ihre Grenzen, dass sie sogar hinschmeißen will. Hier liest du ehrliche Erinnerungen an einen holprigen Start als Kinderyogalehrerin:
Als ich das Monatsthema zum ersten Mal in der Redaktionskonferenz hörte, merkte ich, dass ich ziemlich ideenlos und blanko auf meiner an sich zuverlässigen inneren Themenwiese irrlichterte. Jungs? Dazu fällt mir nichts ein! Das Thema katapultierte mich gedanklich an meine Anfänge als Kinderyogalehrerin zurück und genau darüber möchte ich schreiben. In der Hoffnung, dass es Jemandem hilft, dem es vielleicht gerade ähnlich geht.
Ich lasse die Hosen runter (nicht den Rock!) und um im Klischeebild zu bleiben – das ist vermutlich das Einzige, was ich mit Jungs gemein habe. Eine Hose! Aber darum soll es nicht gehen, sondern darum: Ich hatte Angst vor Jungs! Ok, nicht ganz krass, aber – sagen wir – einen gehörigen Respekt davor, sie zu unterrichten.
Mit Mädchen war der Kinderyogakurs ein Selbstläufer
Beginnen wir am Anfang: Mein allererster Kinderyogakurs entwickelte sich auf Initiative meiner beider Kinder. Du ahnst es vermutlich: Ich habe zwei Töchter! Und diese beiden Mädels rührten kräftig die Werbetrommel, so dass sich mein Kurs schnell füllte. Mit ihren angeworbenen Freundinnen. Hach, war das alles herrlich und watteweich! Da ich die Mädels alle kannte, gestaltete sich dieser Kinderyogakurs als Selbstläufer in schönster Atmosphäre, voller Vertrauen und Bereitschaft, Yoga zu machen. Die Themenfindung ein Klacks. War ich doch lange genug Mama, um zu wissen, was Mädels wollen. Außerdem bin ich eine Frau. Jungs? Kein Thema!
Nachdem ich also erste Erfahrungen mit Kinderyoga gesammelt hatte, wurde ich mutiger und nahm ein Engagement in einer Grundschule an. Hier durfte ich vormittags eine Schulstunde lang mit Förderkindern Kinderyoga machen. Ich bekam einen Raum gestellt, eine ordentliche Bezahlung und war stolz über meine anlaufende Selbstständigkeit. Und dann? Dann traf ich auf: JUNGS!! (Im Film würde an dieser Stelle jetzt dramatische Horrorfilm-Musik laufen).
Fünf Jungs!
Jetzt könnte man denken „Och, wie nett. Fünf Kinder! Das ist ja eine super Gruppengröße, um sich einzugrooven!“ Ja. Fand ich auch. Voller Vorfreude legte ich die Matten hin, gestaltete die Raummitte und freute mich auf den Stundenbild-Klassiker „Reise nach Indien“, um den Kindern Yoga näher zu bringen. Ich wartete am ausgemachten Treffpunkt in der Schule und dann kamen sie. Fünf Erklässler-Flummis mit großen wachen Augen und rosa Wangen, die vor mir auf- und absprangen und ihr Glück nicht fassen konnten, dem Klassenzimmer für eine Stunde zu entkommen. „Viel Spaß! Den Fünf hier schadet es nicht, mal etwas zur Ruhe zu kommen“, sagte die Lehrerin, „Wenn es zu viel wird, dann kann ich jederzeit angerufen werden.“ Sie drückte mir einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in die Hand, schenkte mir einen wissenden Blick und verschwand.
Jungs und Kinderyoga: „Machen wir auch Karate?“
Die Flummis und ich hüpften, von ohrenbetäubendem Geplapper begleitet, zu unserem Bewegungsraum. Ich versuchte, mich im Widerhall des Schulkorridors bemerkbar zu machen, sie mögen doch bitte ihre Schuhe vor dem Raum ausziehen, so dass niemand drüber stolpere. „Machen wir auch Karate?“, kreischte der eine Junge. „Ich bin ein Ninja!“ Er kickte wild vor sich in die Luft, um mit seinem Bein Bruce Willis-like seinen Vordermann zu treffen. Dieser – natürlich überhaupt nicht erfreut – revanchierte sich mit einem Kick, so dass ich meine Not hatte, die Streithähne erstmal zu trennen. Ich ignorierte die wild umherliegenden Schuhe und wir schafften es in unseren Raum. Ich sank auf die Matte. Die Jungs hatten andere Pläne und sprangen indes in die am Rand aufgestapelten Weichbausteine, die der Bewegungsraum für die Nachmittagsbetreuung bereithielt. Ahhhh!
Ich mache an dieser Textstelle eine Pause. Nun hat dieses Szenario nicht ausschließlich etwas damit zu tun, dass dieser wilde Einstieg in den Kinderyogakurs ausschließlich Jungs geschuldet ist. Natürlich kann einem das auch mit lebhaften, wilden Mädels passieren (Auch das habe ich später erlebt.). Ich wollte nur die Atmosphäre beschreiben, so dass du ein Gefühl dafür bekommst, wie energiegeladen und chaotisch dieser Einstieg war.
Schweißgebadet, heiser, vom Hafer gestochen
Die Stunde setzte sich entsprechend fort. Die Jungs hielt es nicht lange auf der Matte und falls ja, fummelte einer immer beim Anderen rum oder zeigte wilde Karate-Kicks! Meine Oma würde sagen „Den hat der Hafer gestochen.“ Als wir es endlich nach Indien schafften und durch den Raum liefen, wurden wir permanent von einem um sich tretenden Ninja begleitet. Mein Stundenbild zerschossen, ich schweißgebadet und beinahe heiser. Überraschenderweise gelangten wir in eine Endentspannung, in der die Kinder abtauchten und für einen kurzen Moment Ruhe fanden. Ich lieferte die Fünf unverletzt bei der Lehrerin ab, erntete fröhliche Abschiedsgrüße und blieb dann ziemlich gefrustet, überrannt, ratlos und schweißgebadet zurück. Was hatte mich nur geritten, Kinderyoga zu unterrichten? Die nächsten beiden Wochen wurden nicht besser, meine Vorfreude auf dieses Schul-Engagement schwand und ich wollte es nur hinter mich bringen.
Dieses Verhalten kannte ich bis dato nicht. Dieses Körperliche, dieser unbändige Bewegungsdrang, dieser Hang zur Gewalt. Auch die Themensuche fand ich schwierig. „Was mögen Jungs?“ Als Quereinsteigerin fehlte mir auch der pädagogisch-berufliche Hintergrund, um Methoden oder Lösungen aus dem Hut zu zaubern. Ich war ratlos und fand es einfach nur anstrengend.
Ich suchte Rat bei einer guten Freundin, die zwei Söhne hat und ebenfalls Kinderyoga unterrichtet. „Versuch die Energie umzuleiten!“, riet sie mir. „Und versuch alles, was an Waffen erinnert, zu vermeiden.“ Das half mir ein bisschen.
Je unyogischer es wurde, desto mehr Kinderyoga passierte
Ich nahm Abstand von ausgefeilten Stundenbildern und stückelte meinen Unterricht aus verschiedenen Elementen zusammen, etwa mit Spiel- und Bewegungseinheiten aus dem klassischen Turnunterricht. Wir spielten Yogaspiele, legten Mandalas und hackten viel Holz. Ich stellte fest, dass alles gut ankam, bei dem sich die Jungs messen konnten (Yogaklötze stapeln, Handstand an der Wand machen, etc.). Ich versöhnte mich mit dem Gedanken, dass mein Unterricht nicht sehr yogisch erschien. Denn je unyogischer es wurde, desto mehr Kinderyoga passierte. Durch das Auspowern am Stundenanfang wuchs die Bereitschaft für Asanas und auch für komplette Stundenbilder. Kicks und Punches wurden fester Bestandteil im Warm-up.
Dies alles ist geschah nicht im besagten ersten Förderkurs. Es entwickelte sich im Laufe der Zeit. Dennoch kriegte ich die Einheit mit den fünf Erstklässler-Flummis ohne weitere Kollateralschäden rum. Ich vereinbarte mit den Kindern, dass wir in der letzten Kursstunde die großen Weichbausteine nutzen könnten, so dass sie nicht mehr so attraktiv erschienen. Die Jungs durften sich Themen wünschen und ich recherchierte Dinosaurier und Ninjago-Protagonisten. Für mich kriegte ich klar, dass die Energie in diesem Kurs höher war als in meiner „Mädels-only-Runde“, so dass ich auch besser mit meinen eigenen Kräften hauszuhalten lernte. Ich verstand, dass Mädels mir zuhörten, wenn ich etwas erklärte, und Jungs, sobald sie eine Übung sehen, sie direkt nachmachten. Ich rückte die Matten stets so weit auseinander, dass das Gefummel beim Nachbarkind aufhörte. Ich haute nicht in den Sack, sondern wurde gelassener und flexibler.
All diese Momente, in denen ich schweißgebadet und gefrustet war, ob mit Jungen oder Mädchen – haben dafür gesorgt, dass ich es liebe, Kinderyoga zu unterrichten. Und genau diese Erfahrungen versuche ich auch in meinen Kinderyoga-Ausbildungen weiterzugeben. Ich halte nicht hinterm Berg damit, sondern erzähle von all diesen „Ninja-Erlebnissen“.
Wie heißt es so schön: Wenn dir das Leben Steine in den Weg legt, stelle dich drauf. Diese ganzen (wilden) Jungs haben mir die Augen geöffnet und mir die Angst vor ihnen genommen. Heute unterrichte ich – Kinder! Nicht Mädels und nicht Jungen – Kinder! Ich mache mir keinen Kopf mehr über Jungs- und Mädels-Stundenthemen. Bei mir gibt es jedes Thema für alle gleich. Das wissen meine Yogis. Das für jeden was dabei ist und jeder auch alles versuchen soll und mitmachen darf.
Vielleicht ist genau der letzte Punkt auch der Grund dafür, dass ich in der Redaktionskonferenz thematisch so ein Fragezeichen im Kopf hatte. Für mich sind alle Kinder gleich.