Katarina Tauber: „Samadhiland“
Die Peacebude, ein Gedankenkarussell außer Betrieb und der Samadhi-Berg– so anschaulich und eingängig erklärt Katarina Tauber Yogaphilosophie. Das Buch „Samadhiland“ erinnert uns auf großartige Weise daran, wieviel mehr Yoga ist als nur reine Körperübungen. Ein wunderbare Abenteuergeschichte für Groß und Klein, das in keinem Kinderyogalehrer*INNEN Regal fehlen sollte. Leicht zu lesen und gut geeignet zum Nacherzählen in der Kinderyogastunde. Gina Duscher hat es für uns gelesen.
Die Rahmenhandlung des schmalen Büchleins ist schnell erzählt: Der kleine Yogi lässt sich von seinem Vater – dem großen Yogi – dazu überreden, das Samadhiland zu besuchen. Denn eigentlich wollte er lieber ins Schlaraffenland. Obwohl das Samadhiland zunächst wie ein riesiger Freizeitpark erscheint, ist dort alles ganz anders als erwartet. Das Tagesziel der beiden ist der Gipfel des Berges Samadhi ganz im Sinne von Patanjalis achtfachem Pfad mit Samadhi als der obersten Stufe. Der Weg dorthin ist voller Abenteuer und Prüfungen. Zu Hilfe kommt ihnen immer wieder Patanjali als Art Hausherr des Samadhilands.
Alles drin ohne Fachterminologie
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: im ersten Teil geht es eher um wichtige Basics von Yoga während sich der zweite Teil den 8-fachen Pfad nach Patanjali vornimmt. Bemerkenswert in beiden Hälften: Katarina Tauber kommt so gut wie komplett ohne die typische Yoga-Terminologie aus. Damit ist die Erzählung auch gut für Neu-Yogis geeignet. Ihre beiden Protagonisten – der kleine Yogi und der große Yogi – verkörpern sehr gut den Otto-Normal Yogi. Mal skeptisch, mal unzufrieden, mal verlangend oder gar leidend und und und – immer wieder liefert die Autorin Antworten des Yoga für diese Lebens- und Gefühlssituationen.
Samadhi ist erfüllender als das Schlaraffenland
Bemerkenswert sind die eingängigen Bilder, die Tauber in den Kopf des Leser zaubert. Schon allein der Titel und der Vergleich mit dem Schlaraffenland sind klug gewählt. Letzteres als Inbegriff von allen Wünschen, die in Erfüllung gehen. Und Samadhiland als höhere Stufe, denn „dort braucht man nichts, um glücklich zu sein“ Auch die Sprache (das Sanskrit) dort, sei kein Problem, denn „das meiste versteht man eh mit dem Herzen“. Der Eintritt ist frei, einzige Bedingung: das eigene Ego ist abzugeben, denn es ist schlichtweg überflüssig. Eingängiger kann man die Durchlässigkeit des Yoga und die damit verbundene angestrebte Transzendenz kaum beschreiben.
„Wagen Sie einen Blick in die Gegenwart“ & Gedankenkarrussell
Mit einfachen Worten und starken Bildern nimmt sich Tauber Stück für Stück die Yogadenke vor. So lässt sie die beiden Yogis gleich am Anfang das „Hier und Jetzt erleben“: eine Glaskugel am Eingang des Freizeitparks, die nur betretbar ist, wenn man ganz in der Gegenwart eintaucht. Erst dann wird sie durchlässig und man kann sich ganz auf sich selbst konzentrieren und neue Energie finden. Sobald aber die Gedanken wieder in die Zukunft wandern, hat der der Zauber sein Ende, wie der kleine Yogi leidvoll erfahren muss. Oder unser Monkey Mind als Kinderkarussell dargestellt mit einem großen Gehirn als Kuppel. Es ist „ausser Betrieb“ und steht ganz still. Ein wunderbares Bild von Meditation auch für die Kinderyogastunde! Klar ist auch die Botschaft von Tauber im Spiegelkabinett mit der Aufgabe, das wahre Selbst zu finden. Und zu guter Letzt der verborgene Schatz im See. Ein gerne genommenes, aber nicht minder wirksames Bild im Yoga: Die Wellen entsprechen den Gedanken, nur wenn die Gedanken ruhig sind, bleibt der See ruhig und man kann bis auf den Grund sehen. Reinheit und Klarheit der Gedanken durch Entspannung lautet die Botschaft dahinter.
Entspannung – eine Frage, viele Antworten
„Wie geht denn Entspannung“, fragt der kleine Yogi an dieser Stelle. Da gibt es viele Wege lautet die Antwort des großen Yogis. Jede Tätigkeit sei geeignet – stricken, wandern in der Natur, aber auch und so das nächste Experiment Bogenschießen. Das Bogenschießen macht dem kleinen Yogi Mühe, denn der Bogen muss erst noch gebaut werden, aber mit der Zeit hat er Spaß an der Aufgabe. Genau wie im echten Leben, ist es bisweilen mühsam in die Entspannung zu kommen und nicht immer werden wir für unsere Mühe trotz guter Vorbereitung, einem klaren Ziel und guter Durchführung – belohnt. Aber auch das ist ein wichtiges Learning für uns und für den kleinen Yogi im Buch. Geduld, Gelassenheit und ein Stück weit Ur-Vertrauen in die Dinge und sich selbst– so meine Lesart – lauten die Antworten im Buch. Und ein paar Hilfestellungen natürlich, wie das OM-Chanting, das dem Yogi den Einstieg in die Meditation erleichtert. Einer Übung, die ich selbst auch immer wieder gerne in meinen Kinderyoga-Kursen einsetze und die Kinder lieben sie. Ehe nun die Reise der beiden Yogis auf den Samadhi-Berg beginnt, nimmt Tauber einen spannenden Rollenwechsel ihrer Protagonisten vor. Getriggert wird er durch Hindernisse auf dem Weg zur ersten Station ihrer Bergreise.
Der kleine und der große Yogi
Der kleine Yogi ist am Anfang sehr skeptisch und kritisch entwickelt sich im Verlauf der Geschichte zum „Überzeugungstäter“, er erstarkt nachdem die ersten Hindernisse zu ihrer ersten Station am Berg und wird zunehmend die „yogische“ Stütze seines Vaters. Denn dieser – anfangs der große anleitende Yogi – wird schwer geprüft, unterliegt der Täuschung und dem Leid. Zittern, unruhige Atmung, schlechte Laune und ein zerstreuter Geist quälen ihn. Die „Hausmittel“ des Schamanen wie Mitgefühl, Freude und Nachsicht sowie ein meditatives Hobby nutzt der große Yogi bereits, sie reichen aber nicht aus (!). Die Täuschung war zu schwerwiegend – Verlangen, Abneigung und tiefsitzende Ängste sind die Begleiterscheinungen. Als Medizin gibt es in der Apotheke Disziplin, Studium und Hingabe. Und es wird im Verlauf der weiteren Kapitel der kleine Yogi sein, der an diese „Medizin“ erinnert. Er wird es auch sein, der am Ende – und so viel sei verraten – Samadhi erfährt. Für mich eine faszinierende Idee und eine Hommage an die kleinen Yogis, ein Kind in seiner Reinheit und Klarheit – zum Ziel kommen zu lassen. Wohingegen wir Erwachsenen uns immer wieder neu besinnen und darum bemühen müssen. So zumindest meine Lesart.
Teil 2: Samadhiland und der achtgliedrige Pfad nach Patanjali
Es ist geschafft, der zweite Teil des Buches beginnt. Jetzt heißt es für die beiden Yogis, acht (!) Stationen mit jeweils einer Aufgabe zu meistern ehe das Ziel – die Bergspitze und Samdahi – erreicht ist. Als Transportmittel dient eine Achterbahn. Diese fährt aber nur, wenn die Aufgabe bei der jeweiligen Station erfüllt ist. Bemerkenswert ist, dass keine einziges Mal (mit Ausnahme von Samadhi) die Sanskritnamen des 8-fachen Pfads genannt werden. Der Kenner bzw. die Kennerin kann sie allerdings identifizieren.
- Peacebude. Aufgabe: Frieden für die Umwelt schaffen
Die Freundlichkeit und bedingungslose Hilfsbereitschaft des kleinen Yogis ist ausschlaggebend für den neuen Frieden an der Peacebude, an der zuvor Streit, Neid und Unglück das Leben erfüllt hat. Erst als echte Harmonie in der dort lebenden Familie hergestellt ist, geht es für die beiden Yogis weiter.
- Überlebenstraining. Aufgabe: Frieden in sich selbst finden Hier müssen die beiden Reisenden eine Hütte im Sturm finden, dort das Unwetter abwarten und zur Bahn zurückfinden. Bei der zweiten Station geht es um nichts Geringeres als unsere innere Haltung und Selbstfürsorge. Auf wunderbare Weise zelebriert Tauber hier die Aspekte von Reinheit, Zufriedenheit und innerer Ruhe, Disziplin und Studium. Eingängig und anschaulich geschildert, meistern die beiden Yogis auch diese Station unter Zuhilfenahme der Medizin aus der Apotheke: Kompass, Kalender, und Hängematte.
- Turnhalle. Aufgabe: Asanas
Körperübungen spielen im westlichen Yoga eine bedeutende Rolle, oft werden sie gleich gesetzt mit Yoga. Gerne im Sinne: je mehr Verrenkung, umso besser. Auch hier ist Tauber in ihrer Reduktion auf das Wesentliche konsequent: Statt schweißtreibenden und komplizierten Asanas, gibt es für die „Fortgeschrittenen“ Sitzmeditation, Hilfsmittel und viel innere Haltung – erst als der kleine Yogi seine Situation akzeptiert, kommt die Bahn und die Reise geht weiter. - Langer Atem. Aufgabe: Tauchgang
Während der große Yogi scheinbar mühelos auf dem Grund eines Sees zur Ruhe kommt, müht sich der kleine Yogi mit den Wellen auf der Wasseroberfläche ab. Wieder an Land verproben sie alle möglichen Hilfsmittel um den Atem – und damit die Gedanken – zu beruhigen. Wunderbar gibt uns die Autorin hier viele Hilfsmitteln wie Luftballons und Trinkhalme mit auf dem Weg für die Kinderyoga-Stunde. Und auch hier wieder eine klare Botschaft: Üben, üben, üben! - Geisterbahn. Aufgabe: Rückzug der Sinne
Schummeln gilt nicht, wenn es um das Nicht-Ablenken-lassen von äußeren Dingen geht. Das ist die Lektion, die beide Yogis auf ihrer gruseligen Fahrt durch die Geisterbahn lernen. Es geht nicht um das Abschotten der Sinne und das Verdrängen, sondern um die Konzentration auf sich selbst und seinen Atem. Und dann gelingt es auch, scheinbar unlösbare Aufgaben zu überwinden. Eine wunderbare Anleitung zum Umgang mit unseren Ängsten, Gedanken und Gefühlen. - Kopfkino. Aufgabe: Konzentration lenken
Nun haben die Yogis ganz nach Patanjalis Idee ihren Geist in den fünf vorhergehenden Stufen vorbereitet, um stiller zu werden. Und ehe es auf die Bergspitze geht, fokussieren ihre letzten Aufgaben ganz auf den Geist. Allein durch Kraft ihrer Gedanken und voller Konzentration müssen die beiden einen Aufzug nach oben fahren lassen. Was nach einigen Rückschlägen – genau wie eben auch im echten Leben – schließlich gelingt. - Kopfkino. Aufgabe: Geist durch Konzentration in einen mediativen Zustand versetzen
Im zweiten Teil der Aufgabe erfahren die beiden Yogis ganz hautnah Meditation. Ein Sog in der Dunkelheit zieht sie nach oben, Realität und Vorstellung der Gedanken vereinen sich zu einem untrennbaren Ganzen. Die Gesetze von Raum und Zeit sind außer Kraft gesetzt. Und der kleine Yogi bringt Frage, ob dies Meditation sei in seiner Antwort auf den Punkt: „ich bin ganz bei der Sache, ohne mich konzentrieren zu müssen“. Und so erreichen sie scheinbar mühelos – per Fallschirmflug – das oberste Plateau des Samadhi-Bergs. - Samadhi Diese letzten Seiten des Buches muss man selbst lesen. Am besten in Ruhe und dabei auf sich wirken lassen, wie der kleine Yogi über sich selbst hinauswächst, Wichtiges vom Unwichtigem zu unterscheiden weiß und wirklich zu sich selbst findet. Wie er sich nicht in Versuchung führen lässt, von der Magie und dem Zauber auf dem Samadhi-Berg. Und sogar Allwissen und Allmacht ablehnt als sie ihm angeboten werden. Stattdessen hinterfragt er nichts und erwartet nichts. Seine Gedanken sind zur Ruhe gekommen und er ist komplett bei sich. Und damit ist er frei und lebt im Einklang mit dem Kosmos. Und ist bei sich – hier auch wortwörtlich wieder zu Hause – angekommen.
Samdhiland ist sicherlich ein Buch, das man als Kinderyogalehr*IN immer wieder zur Hand nehmen kann. Und jedes Mal etwas Neues entdeckt oder wiederentdeckt. Zum kompletten Vorlesen in Kita oder Schule nutze ich es eher nicht. Aber ich finde es perfekt, um einzelnen Themen und Episoden rauszugreifen, um diese einfach nach zu erzählen. Gerne zeige ich auch die Bilder – vor allem das Gedankenkarussell – und nutze sie als Aufhänger für eine kleine Lehrstunde in Sachen Yogaphilosophie.
Ich wünsche euch gute Unterhaltung beim Lesen, Nachdenken und Nutzen😊. Und ich bin mir sicher, ihr entdeckt noch viel weitere und neue Details als ich sie hier aufschreiben konnte.