Kinderyoga im Katastrophengebiet
Pam Kropitsch lebt in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Der Ort erlangte im Juli 2021 traurige Berühmtheit, weil hier 69 Menschen beim Hochwasser aus dem Leben gerissen wurden. Unsere Redakteurin Maike Schößler hat sich mit ihr unterhalten über Kinderyoga in Krisenzeiten und ob man das Thema Wasser dabei aussparen sollte.
Der Tag, an dem das Wasser kommt, ist ein Mittwoch. Und der ändert alles für Pam Kropitsch, ihre Familie und Zehntausende andere. Vor anderthalb Jahren kommt die Sportwissenschaftlerin und Yogalehrerin unter unglücklichen Umständen zum Kinderyoga und unterrichtet es seither kostenfrei für Kinder.
Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli verändert in Bad Neuenahr-Ahrweiler alles und hat seither nicht nur optisch eine klaffende Wunde hinterlassen. Pam Kropitsch und ihre Familie haben Glück. Ihr Haus befindet sich weit weg von der Ahr und wird von den Wassermassen verschont. Als Mutter von drei Kindern und Yogalehrerin im Ort kennt sie unzählige Menschen, die Hilfe benötigen. Wie alle packt sie wochenlang mit an, was sich besonders in den ersten Tagen nach der Unglücksnacht als chaotisch und schwierig erweist. Im Ort herrschen kriegsähnliche Zustände: Autos und Unrat stapeln sich, Häuser, Straßen und Brücken sind zerstört, alles ist verdreckt und vereinzelt können die Retter die Verstorbenen nicht bergen, weil sie nicht zu ihnen durchkommen. Nach fünf Wochen, in dem die Yogalehrerin wie auch die anderen mit anpackt, gerät sie an ihre körperlichen Grenzen und überlegt, womit sie am besten helfen kann. An dieser Stelle setzt unser Gespräch ein.
Pam: Ich hätte mich fünfteilen können und wollte allen helfen. Bei drei eigenen Kindern kennt man ja viele im Ort und wir befanden uns alle im Ausnahmezustand. Es war nie genug, egal, was man tat. Ich habe mich dann entschlossen, mich auf eine Sache zu konzentrieren, um nicht verrückt zu werden. Ich habe überlegt, was mir helfen würde und habe mich dann um die Kinder von Freunden gekümmert, so dass die weiter ihr Hab und Gut sichern konnten und ihre Kinder betreut wussten.
PLUS: Und dann kam Kinderyoga in Spiel?
Pam: Ja, genau. Ich hatte im Lockdown im selben Jahr der Flut eine Ausbildung zur Kinderyogalehrerin gemacht. Ich war schon Yogalehrerin und war aber neugierig, inwiefern sich Yoga mit Kindern unterscheiden würde. Bis zur Flut hatte ich allerdings nie Kinderyoga unterrichtet. In dem Studio, in dem ich Yoga und Pilates für Erwachsene gebe, fragte ich dann nach, ob ich die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen könnte. Das Studio war nicht beschädigt und das war ein Glücksfall. Als unbeschriebenes Blatt habe ich dann an einem Nachmittag zum ersten Mal im Leben Kinderyoga unterrichtet.
PLUS: Und? Wie war es für dich?
Pam: Ich entdeckte, was es für einen großen Spaß machte und es fiel mir leicht. Seitdem erfüllt es mich und ich bin dankbar, dass ich die Kinder begleiten darf. Die Mutter einer älteren Tochter schrieb mir nach dem Nachmittag, es wäre das erste Mal in fünf Wochen gewesen, dass sie ihr Kind lächeln sah. Das hat mich tief berührt. Es hat mir gezeigt, was eine unbeschwerte Auszeit mit den Kindern macht. Deswegen war für mich klar, es muss irgendwie weitergehen – die Eltern fragten auch schon, ob ich nicht ein wöchentliches Angebot machen könnte.
PLUS: Sowas muss natürlich finanziert werden.
Pam: Genau. Meine Ausgaben und die Miete für den Raum zum Beispiel. Ich machte mich auf die Suche nach Spendern. Tatsächlich fand ich private Spender und eine große Organisation. Und so hatte ich genug Gelder für 2022 zur Verfügung, um komplett allen Kindern Yoga kostenlos anbieten zu können. Ende letzten Jahres kristallisierte sich heraus, dass es auch 2023 durch die Hilfe der Rotarier und Lions weitergehen kann. Mir war es wichtig, dass die Familien, die so viel verloren hatten – teilweise das komplette Haus – nicht eine zusätzliche finanzielle Belastung fürs Freizeitprogramm ihrer Kinder aufgebürdet bekommen. Es ist ein großes Geschenk, dass das geregelt war und erstmal ist.
PLUS: Hattest du dich speziell auf die Kinder vorbereitet? Immerhin hatten sie ja einiges erlebt.
Pam: Ehrlich gesagt nicht. Ich wusste von keinem der Kinder, was sie konkret erlebt hatten. Es waren teils schwer traumatisierte Kinder. Ich wusste nur teilweise, wo sie wohnten, also ob nah an der Ahr oder nicht. Hätte ich mir mehr Gedanken über alles gemacht, hätte ich mich vermutlich nie getraut.
PLUS: Das ist echt mutig.
Pam: Es sollte wohl alles so sein. Hätte ich gewusst, was diese kleinen Persönchen schon alles erlebt hätten, ich hätte die Finger davongelassen. Ich bin so froh, dass ich in so einem totalen „Ich-muss- was-machen-Modus“ war, dass ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht habe. Diese Unvoreingenommenheit war vielleicht letztendlich der Grund, warum ich so Glück hatte, dass es für uns alle so eine entspannte Auszeit war. Ich war entspannt und die Kinder auch. Je mehr ich den Kopf eingesetzt hätte, desto schwieriger wäre es sicher gewesen. Ich habe das bei den erwachsenen Teilnehmer*innen gemerkt. Die habe ich ja auch fünf, sechs Wochen nach der Flut wieder unterrichtet. Da ist mir aufgefallen, wieviele Metaphern beim Yoga mit Wasser zu tun haben. Oder Wörter im Kontext: die Atmung fließt, die Bewegung fließt, Klangschalen haben Klangwellen und im Pilates gibt es eine Übung, die Welle heißt. Ich habe total viel drüber nachgedacht und es fühlte sich sperrig an. Ich habe es dann bei meinen Teilnehmern thematisiert und es wurde leichter. Je mehr ich das ablegen konnte, desto entspannter wurde es.
PLUS: Wo wir gerade bei speziellen Wörtern sind – wie hast du deine Yogastunden geplant?
Pam: Da war ich irgendwie freier und unbefangener als bei den Erwachsenen. Nur die Stundeninhalte habe ich sehr durchgeplant. Mir war es wichtig, dass wir so viel Party wie möglich machen können. Ich habe jede Möglichkeit zu feiern genutzt, von Halloween, über St. Martin bis ausgelassene Weihnachtsfeiern. Am Anfang in den ersten Wochen haben wir viel Power reingebracht uns unglaublich viel geschüttelt. Ich hatte den Eindruck, das half den Kindern sehr. Und es war so ein Geschenk. Eine unbeschwerte Zeit! Nach all den schweren Wochen war das auch für mich eine Auszeit. Ein Auftanken für beide Seiten.
PLUS: Wie sieht es mit ruhigeren Elementen aus? Ich kann mir vorstellen, dass Meditationen oder Traumreisen Erlebtes hochholen können.
Pam: Anfangs haben wir nur ein paar Partnermassagen gemacht und Mini-Einheiten zum Runterbringen. Im letzten Jahr hatten wir auch sehr viele ruhige Stunden mit vielen Gesprächen, Massagen und weniger Action. Es hat seine Zeit gebraucht und jede Stunde ist anders, aber ich greife genau das auf, was die Kinder gerade brauchen. Alles ist freier geworden.
PLUS: Klammerst du bestimmte Themengebiete bei den Kindern aus?
Pam: Eigentlich nicht. Denn erstaunlicherweise besitzt jedes Thema das Potential, Dinge aufploppen zu lassen, die ich vorher niemals bedacht hätte. Beim Thema Wasser ist es ja offensichtlich, aber es war weniger als ich dachte
PLUS: Lass mich kurz reingrätschen. Du hast das Thema Wasser als Stundenthema gemacht?!
Pam: Ja, tatsächlich. Mit den Elementen habe ich begonnen. Mit der Erde ging es los. Ich dachte mir, es wäre schön, wenn die Kinder den Boden unter den Füßen spüren und Anhaftung, Halt zurückerlangen. Denn vielen hat es ja im wahrsten Sinne den Boden unter den Füßen weggerissen. Manche von ihnen waren ja auch im Wasser. In der Yogastunde haben wir ganz viel mit den Füßen gemacht. Danach kamen die Themen Luft und Feuer und dann stand Wasser auf meinem Zettel. Ich fragte mich, ob ich das überhaupt machen soll oder ob ich es weglasse? Ich hatte noch ein Ausweichthema, aber die Kinder haben es entschieden.
Ein paar Fakten
Die Flutkatastrophe am 14. Juli 2021 war eine der größten der deutschen Geschichte und kostete 189 Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz das Leben. Es entstanden Sachschäden in Milliardenhöhe.
PLUS: Wie genau?
Pam: Na, sie fragten ja schon immer am Ende einer Yogastunde, was machen wir als nächstes. Da kamen sie selber drauf und wollten das Thema Wasser unbedingt machen. Meine Sorgen waren unbegründet. Wir kreierten unter anderem wunderschöne Aquarell-Klangschalenbilder, die sie liebten. Natürlich war auch die Flut ein Thema. Bei den Kindern ist es echt so, die nehmen die Dinge, wie sie sind. Beim Yoga haben sie jetzt diesen Raum, Themen auszusprechen und sie werden verstanden. Alle Kinder haben hier etwas ähnliches mitgemacht. Es gibt auch Kinder die die Flutnacht nicht traumatisch erlebt haben, aber trotzdem ist das Verständnis für die Anderen da, weil sich für die allermeisten Kinder hier im Ort nach der Flut etwas verändert hat. Alle Kinder müssen auf andere Schulen gehen, weil die alten vernichtet wurden oder die Schule hat sich an sich verändert. Viel Zerstörung ist zu sehen. Immer noch gehen wir alle an zig zerstörten Häusern, Baustellen und Schuttbergen vorbei. Noch immer begleiten die Folgen der Flut uns alle täglich. Aber die Kinder nehmen das so an, wie es ist.
PLUS: Was meintest du gerade damit, dass alle Stundenthemen potentiell Flut-Erlebnisse hochploppen lassen können?
Pam: Beim Wasser war es ja offensichtlich. Die Kinder haben zwar von der zerstörerischen Macht erzählt, aber das haben sie auch bei den übrigen Elementen. In vielen Yogastunden kam einiges hoch und die Kinder teilten sich mit. Wir hatten beispielsweise das Thema „Superpower“, wo wir überlegten, was unsere Talente sind oder wo wir mal ganz stolz auf uns waren. Ein Mädchen erzählte, dass sie die Nachbarin in der Flutnacht aus der Wohnung geklopft und ihr somit das Leben gerettet haben, während ein Junge erzählte, wie er einer Frau etwas aufgehoben hatte. Hilfsbereitschaft wäre seine Superpower. Da habe ich Gänsehaut bekommen. Das ist die neue Realität der Kinder. Alles besteht nebeneinander, Belangloses und Katastrophales. Und die Kinder nehmen es an, wie es ist.
PLUS: Das ist gut zu hören
Pam: Ja, ich klammer nichts aus, weil ich nie weiß, welches Thema etwas an die Oberfläche bringt. Was auch schön ist, weil auch dadurch Unbeschwertheit reinkommt. Mittlerweile kennen sich die Kinder schon so lange, was zusammenschweißt. Die meisten sind dabei geblieben bis heute. Für die war das im Laufe des Jahres“ Yoga-Gesprächstherapie“. Ich fühle mich manchmal wie eine Moderatorin – ich biete den Rahmen und den Raum und halte ihn, aber die Kinder sind alle auf Augenhöhe miteinander und ihre besten Ratgeber. Die älteren Yogis sind mittlerweile eine richtige Clique.
PLUS: Und hier setzt gut unser Monatsthema an – wieviel Yoga brauchen Kinder?
Pam: Puh, die Frage ist unglaublich schwer zu beantworten, weil für mich eigentlich alles Yoga ist. Es sind ja nicht nur die Asanas und die Körperpraxis. Ich bin überzeugt davon und ich sehe es an meinen Yogakindern – Yoga verändert. In a good way. Die Kinder sind noch ziemlich nah an ihrem Kern. In Bewegung zu bleiben oder zu kommen, damit das System von Körper und Seele gesund bleibt. Das gilt bestimmt für alle Kinder im Land und für die Kinder im Ahrtal erst recht. Zusätzlich zu der Bewegung kommen die Kinder mit Sichtweisen in Kontakt, die sie ganz sicher stärken und unterstützen können. Ein echtes Seelenbalsam.
PLUS: Liebe Pam, vielen Dank für das tolle Gespräch, das mit Sicherheit auch bei dir einige Erinnerungen hochgeholt hat. Wie kann man dein Projekt unterstützen, wenn jemand möchte?
Pam: Ich finde es schön, dass das Ahrtal nicht in Vergessenheit gerät. Die Belastung und Erschöpfung kommen jetzt bei vielen Erwachsenen richtig raus. Sie können nicht mehr. Viele sind ja noch nicht zurück in ihren Häusern und so viele Dinge müssen noch erledigt werden. Ein Ende ist nicht in Sicht. Ich vermute, dass es 2024 schwierig wird Spender zu finden für mein Kinderyoga-Angebot. Deshalb habe ich ein Mutmach-Yogakartenset für Kinder entwickelt, das im Laufe des Jahres rauskommen soll. Der Erlös soll zur Finanzierung beitragen, damit das Projekt weiterlaufen kann.
Pam Kropitsch
PLUS: Klasse. Dann melde dich doch bei uns sobald das Set draußen ist und wir erzählen es weiter.
Kontakt:
Pam Kropitsch
www.deinruhepol.com
Instagram:@deinruhepol