Kreativer Kinderyoga
„Kreativer Kinderyoga“ – darunter versteht sicher jeder etwas anderes. Heißt „kreativer Kinderyoga“ etwa, dass automatisch viel im Unterricht gebastelt und gemalt wird? PLUS.Kinderyoga.de-Chefredakteurin Andrea Helten hat erfahrene Kolleginnen befragt und nähert sich hier den verschiedenen Ansätzen von kreativem Kinderyoga an.
Das Tolle am Kinderyoga ist wirklich, dass allein das Zusammensein mit den Kindern bereits kreativ ist. Denn man weiß nie, was am Ende einer Kinderyogastunde herauskommt. Das ist ein deutlicher Unterschied zum Yoga mit Erwachsenen. Hier hat der Yogalehrer eine ganz andere Vorarbeit: Er hat vorher (mehr oder weniger) ein Konzept erstellt. Dieses setzt er dann im Kurs in die Praxis um. Vielleicht geht der/die Yogalehrerin einmal auf ein spezielles Bedürfnis ein. Doch meistens gibt es nicht viel Feedback von den erwachsenen Schülern, zumindest nicht WÄHREND der Praxis. Wenn du Kinder unterrichtest, geben sie dir ständig und jederzeit Feedback (das ist sicher einer der nachvollziehbaren Gründe, warum Yogalehrer für Erwachsene das Unterrichten von Kindern zu Beginn so anstrengend finden).
Du machst dir ein Konzept – und scheiterst manchmal gnadenlos, weil die Kinder eben in diesem Moment etwas ganz anderes brauchen. Wenn das mal nicht kreativ ist!
Es kann also vorkommen, dass du dir eine Asana-Abfolge überlegt hast. Sagen wir „Hund“, „Katze“, „Maus“. Also Adho mukha svanasana, Vierfüßlerstand, balasana. Und du regst an, dass die Kinder sich so bewegen sollten wie eine Katze im Yoga: runder Rücken/Katzenbuckel, dann Wechsel zu gestreckter Vorderseite usw. Die Kinder machen aber etwas anderes, nämlich IHRE Variante der Katze: ein Kind putzt sich mit den Pfoten die Ohren, das andere hat sich in eine Wasser schlabbernde Katze verwandelt. Wieder ein anderes Kind rollt sich plötzlich seitlich zusammen und erzählt, dass seine Katze immer genauso zusammengerollt im Schuhkarton liegt. Währenddessen springen zwei Kinder wild im Raum umher. Auf deine fragenden, hochgezogenen Brauen antworten sie erklärend: „Wir fangen Mäuse“. – Eine Asana, so viele kreative Möglichkeiten.
Geht es nach Sandra Walkenhorst, Thai-Kinderyoga-Lehrerin und Ausbildungsleiterin an der Kinderyoga-Akademie, ist Kinderyoga per se kreativ, denn hier darf alles sein. Aus der Stellung des Kindes kann in einer Stunde ein eingerolltes Blatt, in einer anderen eine Muschel, ein Igel oder ein Stein werden. Kinder sind kreativ und haben Lust Ideen zu entwickeln und auch Perspektiven zu verändern.
Die Herausforderung besteht für uns Erwachsenen darin, dass wir uns auch mal mutig von festen Konzepten lösen können und uns auf spontane Ideen und Veränderungen einlassen. Alles darf, nichts muss. Sich auf die jeweiligen Belange der Kinder einzustellen und sie in ihrer Ganzheit wahrzunehmen und zu unterstützen erfordert für mich Mut und Kreativität. Sich wirklich einzulassen, ohne zu behaupten, dass wir Erwachsenen immer wissen wie es geht. Für mich ist kreativer Kinderyoga mit viel Spaß und Leichtigkeit verbunden, für alle Beteiligten!
Sandra Walkenhorst
Für die erfahrene Yogalehrerin Sandra Walkenhorst ist vor allem auch das Yoga-Sutra „sthira sukham asanam“ gut anwendbar auf die Arbeit mit Kindern: So kann Kinderyoga ihnen Stabilität im Sinne eines wiederkehrenden Rahmens vermitteln – und dennoch die Leichtigkeit erhalten, um im Jetzt ganz individuell auf die Kinder einzugehen.
Zugegeben, zu Beginn des Unterrichtens kann kreativer Kinderyoga sehr frustrierend sein.
Denn so ziemlich alles, was du dir vorher überlegt und zurechtgelegt hast, kann zunichte gemacht werden. Das bedeutet Unsicherheit, auch ein Gefühl des „Ausgeliefertseins“ kann aufkommen. Deuten wir Lehrer dieses „Vernichten“ jedoch um, heißen diesen Prozess willkommen und öffnen wir uns für die Ideen, die die Kinder unseren Konzepten vorziehen (und wie gesagt, das Feedback von ihnen ist sicher!), kann hier etwas Einzigartiges geboren werden. Etwas, das im Flow geschieht und bei dem Lehrer UND Kinder als Gruppe gleichsam Originäres erschaffen. Das ist doch das Schöne an kreativem Kinderyoga: Ein Yoga, in dem die Kinder sich komplett mit ihren Ideen einbringen können. Es geht also in allererster Linie darum, Yoga kreativ zu praktizieren. Getreu dem alten Werbeslogan von Apple darfst du einfach einmal Althergebrachtes loslassen und stattdessen „anders denken“: „Think different“.
Kreativer Kinderyoga kann heissen, Asanas gemeinsam und im Unterricht zu modifizieren, zu erfinden.
Kürzlich startete ich eine kleine Umfrage in Sandras Walkenhorsts und meiner Facebook-Gruppe „Kinderyoga Coaching„. Thema: „Welche Asanas habt ihr euch gemeinsam mit den Kindern schon einmal ausgedacht?“ Es kamen lustige Antworten zutage: T-Rex, Dieb, Einhorn, Schabracken-Tapir, Döner, Sushi-Rolle und – natürlich – die Gottesanbeterin 🙂 Ist das noch Yoga? Ja, das ist es! Achtsam im Flow zu sein und sich ganz dem Tun zu widmen – gewaltfrei in der Gruppe, ohne Hierarchien und hingebungsvoll – auch das sind Bestandteile vom Yogaunterricht mit Kindern.
Ebenfalls toll ist Material, welches sich kreativ einsetzen lässt – also immer wieder neu. Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ halte ich es grundsätzlich so, Material nur sehr reduziert einzusetzen. So können Kinder, die eh schon sehr im Außen sind und von Handy und Co. abgelenkt werden, den Fokus besser im Innen halten. Dennoch gibt es Material, das sich vielfältig nutzen lässt und immer neue Einsatzmöglichkeiten bietet. Zum Beispiel ein Kooperationsband. Meins besteht aus einem acht Meter langen Gummiband, das in Schlaufen gelegt und mittig ineinander verknotet wurde.
DIY-Yoga, für wenig Geld – und die Einsatzmöglichkeiten sind so kreativ. Das einzige, das sicher ist: Wenn sich ein Kind in den Schlaufen bewegt, hat dies durch den Gummiband-Effekt auch Auswirkungen auf die anderen. Yamas at its best, sozusagen.
Kreativer Kinderyoga heisst auch, dass der Unterrichtende seinen ganz persönlichen Stil mit einbringt
Du bastelst gern, erschaffst etwas händisch? Dann wirst du deiner kreativen Neigung entsprechend vielleicht mit den Kindern auch im Kinderyoga einmal etwas basteln. Deine Leidenschaft liegt eher im Singen? Nur zu – Singen öffnet unsere Kanäle, setzt Oxytocin frei (unser „Kuschelhormon“), baut Kortisol ab (ein Stresshormon) und macht glücklich! Du findest Kontaktimprovisation spannend? Dann wirst du mit den Kindern vielleicht eher raumgreifende und intuitive, berührende Moves durchführen und sie dadurch in ihren achtsamen Bewegungen schulen. Du arbeitest mit Feldenkrais? Nur zu – dann wirst du sicher diese heilsamen, auf unser Gehirn wirkenden Bewegungsabläufe mit in deinen Kinderyoga integrieren.
Doch was, wenn wir uns selbst als gar nicht so kreativ sehen? Wenn es eben nicht so einfach ist, neue Wege zu gehen?
Dazu hat sich die Psychologin und Yogatherapeutin Inga Bohnekamp, die ebenfalls an der Kinderyoga-Akademie unterrichtet, Gedanken gemacht:
“Für mich fängt kreatives Kinderyoga bei uns selber an. Klar, kreativ sein, nicht an starren vorgefassten Konzepten festhalten, uns ganz auf die Kinder einlassen und den Prozess spontan, aus dem Moment heraus entstehen und von den Kindern maßgeblich mitgestalten lassen, das klingt alles supertoll und das wollen auch viele gerne umsetzen. Aber nicht allen Menschen fällt es leicht, einfach loszulassen und auch mal ein absolutes kreatives Chaos zu riskieren 😂
Inga Bohnekamp
Falls Du Dich hier wiederfindest, fragst Du Dich vielleicht: Wie kommt man da hin? Die gute Nachricht hier: Den Mut, das Vertrauen in Dich und in den Moment sowie in Deine Schüler und den Prozess und das Spielerische… all das kannst Du üben und (wieder) lernen. Früher als Kind “konntest” Du das alles wahrscheinlich ganz super! Denk mal zurück daran, was Du als Kind gern gemacht hast, vielleicht war das Tanzen, Malen, Legos bauen, Sandkuchen backen…und wie Du Dich dabei gefühlt hast, wenn Du so ganz im Prozess und Moment eins mit Dir warst, so richtig im Flow? Wie wär’s damit, eine dieser Aktivitäten mal wieder aufzugreifen und zwar ohne Zwang und ohne Ehrgeiz, nur der Sache und der reinen Freude wegen!
Inga Bohnekamp
Ein erster Schritt: Kreativität in die eigene Yogapraxis bringen
Inga Bohnekamp rät dazu, eben diese Haltung in die eigene Yogapraxis wieder einzubringen. Und einfach zu schauen, wo die Reise auf der Matte heute hinführt. Den Atem leiten lassen ohne Endziel, ohne den Druck, etwas Bestimmtes erreichen zu müssen. Und sie ist sich sicher: „Je mehr Du die Freude an der spontanen Kreativität in Deinem eigenen Leben (wieder)finden kannst, desto leichter wird es Dir fallen, genau das in Deine Kinderyogakurse zu tragen, weil es einfach ganz natürlich aus Dir hinaussprudeln wird.
Auch thematisch lässt sich Kinderyoga wunderbar kreativ umsetzen: Mit Kreativitätstechniken, die dir dabei helfen, Yogastunden aus einem Guss zu konzipieren und andererseits individueller zu gestalten. So kannst du dich nach und nach von den Materialien anderer lösen und den Kinderyoga unterrichten, der zu DIR und gleichzeitig zu deiner Gruppe passt.
Für mich bedeutet kreativer Kinderyoga, dass gemeinsam mit den Kindern Originäres entstehen kann – mit wenig Materialien (wenn, dann sind diese auch wieder vielfältig einsetzbar) und mit viel Phantasie. Kreativer Kinderyoga ist nichts für Bequemlichkeiten, für Lehrer, die einen ruhigen (und unrealistischen!) Kinderyoga unterrichten wollen und eine strikte Trennung Lehrer-Schüler anstreben. Kreativer Kinderyoga fordert uns mit allen Sinnen – beschenkt uns dafür aber auch mit einer großen Lebendigkeit und er erfüllt mich oft mit tiefer Dankbarkeit gegenüber den Kindern.
Dieser Artikel ist in einer früheren Version auf kinderyogaberlin.com erschienen.