„Selbstwertgefühl ist vielschichtig. Die Wege, es zu finden, ebenfalls.“ Jacqueline Draheim-Frank im Interview

Jacqueline Draheim-Frank ist sicher einigen von euch bekannt. Sie unterrichtet in Potsdam seit langer Zeit Yoga für Jugendliche. 2021 ist ihr Teen Yoga-Buch  erschienen, das Teenies Yoga und Achtsamkeit auf ganz besondere Weise vermittelt.

Wir haben Jacqueline bereits vor einiger Zeit interviewt. Jetzt stand sie uns erneut Rede und Antwort – nach der Veröffentlichung ihres tolles Buches „Online mit mit selbst“.

1. Wer bin ich?

Kurz und knackig über mich:

  • Ich mag nicht leben ohne Meer, Strand, Sonnenschein, Lieblingsmenschen und Keksen um 11 Uhr.
  • Ich bin begeisterungsfähig, manchmal zu sehr und überhole mich gern selbst, weil der Tag eben nur 24 Stunden hat.
  •  Ohne Yoga wäre ich hektisch, zerstreut und chaotisch, mit Yoga bin ich nur noch ein bisschen chaotisch…
  • Den Satzanfang: „Was sollen denn die Leute denken!“ gibt es in meinem Wortschatz nicht.
  • Meine Lieblingsenergie ist eine Mischung aus Feenstaub, Pippi Langstrumpf und ganz viel Lebenseuphorie und Dankbarkeit.
  • Das Rezept für Glück ist für mich Humor, integer leben, Dankbarkeit und wirklich lieben, ohne Bedingungen.

Und jetzt mal so ganz normal :-):
Ich bin 1972  in Berlin geboren, Tochter einer Holländerin und eines waschechten Berliners. Nach dem Abitur studierte ich in der zauberhaften Unistadt Potsdam den Kopplungsstudiengang  Deutsch und Biologie auf Lehramt und pädagogische Psychologie, mit dem Ziel, Schulpsychologin zu werden und nebenberuflich unbedingt Autorin von gesellschaftskritischen Liebesromanen. Es kam dann etwas anders. Leben ist was passiert, während man Pläne schmiedet. Ich verliebte mich Hals über Kopf, heiratete noch im Studium, bekam zwei Kinder und arbeite letztendlich als  selbstständige Gesprächstherapeutin. Ich liebe es immer noch zu schreiben. Es haben sich viele Fragmente in meiner Schublade angehäuft, veröffentlicht habe ich in letzter Zeit einen Blogbeitrag für Yoga Aktuell: „Jugendliche und die digitale Identitätsfindung“ und das soziale Buchprojekt „Online mit mir selbst“. Zwei neue Bücher sind schon in Planung, 2023 werde ich die Zeit zum Schreiben finden.

Ich praktiziere inzwischen 15 Jahre Yoga. 2015 schnappte ich mir ganz regelmäßig meine Yogamatte und startete die Yogalehrerausbildung bei Spirit Yoga Berlin. Seitdem bin ich nebenberuflich passionierte Yogalehrerin, ich liebe die Begegnung mit den Menschen und ihren Yoga Glow Gesichtern.

Anfangs war einer meiner Lieblingswirkungsbereiche, Yoga von den Klischees zu befreien. So kam es zu urkomischen und filmreifen Situationen. Ich  stand zum Beispiel vor  circa 100 bis 120 Tennistrainern, hauptsächlich männlichen, die eine obligatorische Fortbildung bei mir absolvieren mussten (!). Ich sage mal so, die Anfangseuphorie der Teilnehmer war nicht gerade optimal. Oder ich unterrichte  genervte Teens in einer Brennpunktschule, die sich lieber mit der Yogamatte prügelten, als sie auszurollen. Ein Glück ist Humor mein Passwort für das Leben.

Bei der Altersgruppe: „Yoga und Jugendliche“ bin ich hängen geblieben, allerdings änderte sich meine Intention. Es war nicht mehr das Auflösen von Klischees, das mich antrieb. Ich fand meinen Herzenskompass, nämlich Menschen in ihrem Selbstwertgefühl zu unterstützen. Besonders wertvoll finde ich die Arbeit mit  jungen Menschen in der Adoleszenz. Zurzeit unterrichte ich zwei Yogakurse für Jugendliche, einen Kurs für Erwachsene, darf tolle Yoga Retreats anbieten (dieses Jahr auf Sylt, Sankt Peter Ording, Bremen und Fuerteventura) und bin zudem Mentorin in der Yogalehrerausbildung bei Spirit Yoga Berlin.

2. Der Entstehungsprozess zum Buch ist in wenigen Worten zu beschreiben:

Ich schrieb einfach los und folgte intuitiv meinem Herzen. Die Leitfragen waren für mich: „Was kann ich Jugendlichen aus meiner Erfahrung, bezüglich Selbstwert mitgeben?“ und „Wie kann ich das Buch offen, interessant und „unverstaubt“ gestalten?“ Ich wollte keinesfalls einen altklugen Ratgeber schreiben, der jungen Menschen etwas überstülpt. Ich kann mich zwar sehr gut an meine Jugend erinnern und im Herzen trage ich stetig ein großes inneres Kind, aber ich kann nur erahnen, wie die heutige Generation die Welt erlebt. Also war es nur logisch, dass ich das Buch mit Jugendlichen gemeinsam gestalte. Die Inhalte wurden teilweise von Jugendlichen direkt geschrieben  und alles, was ich zu Papier brachte, war die Folge eines vertrauensvollen Austausches mit wundervollen jungen Menschen.

3. Warum so viele verschiedene Stimmen?

Selbstwertgefühl ist vielschichtig. Die Wege, es zu finden, ebenfalls. Selbstwertgefühl kann man nicht machen, man muss den Selbstwert finden bzw. wieder erkennen. Jeder Mensch ist ein Unikat und jede Lebenserfahrung hat multifaktorielle Dimensionen. Je mehr Ideen, Erfahrungen, Vorschläge und Informationen sich in einem Buch vereinigen, umso besser. Ben, Franzi und Felicy aus der Geschichte beantworten letztendlich diese Frage, warum ich so viele Menschen bat, ihr Wissen oder ihre Ansichten zu teilen: Wie cool ist es, wenn Menschen ohne erziehen zu wollen, ohne belehren zu wollen, ohne beeindrucken zu wollen, ihre Antwort zu der Frage finden: „Was magst du Jugendlichen auf ihrem Weg mitgeben?“ Bene beschreibt das so: „ Stellt euch vor, glückliche und erfolgreiche Menschen würden sich Zeit nehmen und erzählen, was ihnen geholfen hat, ihr Leben anzupacken und auch bei Misserfolgen dranzubleiben. Mit erfolgreich meine ich jetzt nicht unbedingt Kohle. Ich meine Menschen, die ihren Beruf lieben oder irgendetwas tun, was ihnen wirklich etwas bedeutet, also erfolgreich im Sinne von glücklich… Das wäre dann mal kein öder Vortrag der Eltern, nach dem Motto: “Ich weiß, was gut für dich ist.“ Man könnte sich die Tipps und Erfahrungen dieser Menschen anhören und selbst entscheiden, was Sinn macht für einen und was nicht. Vielleicht wird man inspiriert, ermutigt, wenigstens wäre es interessant.“ (Online mit mir selbst, S. 233).

Ich bin generell gegen Dogmen. Nur weil Yoga mein Weg ist, muss er nicht für alle richtig sein und selbst beim Yoga gibt es wieder ganz viele individuelle Wege.
Ich finde es fürchterlich, wenn sich Yoga-Richtungen oder Yogalehrer vergleichen, um zu sagen, was oder wer der beste Weg ist. Ich finde das Buch ist deswegen so wertvoll, weil Menschen aus ganz verschiedenen Gebieten diesen Satz (Was magst du Jugendlichen auf ihrem Weg mitgeben?) aus ihrem Herzen beantworten.
Niemand hat dafür Geld bekommen oder konnte auf mediales Interesse hoffen. Jeder, der sich Zeit nahm, wollte sich Gedanken machen und den jugendlichen Lesern etwas Bereicherndes mitgeben. In der heutigen Zeit, wo jeder real und digital mehrspurig durch das Leben rast, ein wertvolles Geschenk.

4. Was magst du am meisten am Buch?

Am liebsten geschrieben habe ich die Story von Felicy. Am wertvollsten finde ich, dass so viele Jugendliche mitgemacht haben. Besonders ermutigend finde ich den Text von Sascha Grammel. Ich kenne ihn noch aus Unizeiten, als er auf Hochzeiten zauberte. Und am aufwendigsten und wichtigsten ist für mich die Kreation der Schatzkarten. Ich wollte therapeutisches Wissen vereinfacht und gut veranschaulicht auf ein Blatt Papier bringen. Ich weiß nicht, wie viele Entwürfe ich zerknüllt habe und zudem kann ich ganz und gar nicht zeichnen. Ein Hoch auf Theresa Grieben, die meine gekritzelte Vorlage künstlerisch so wunderschön umgesetzt hat. Ich finde, dass Selbstliebe fast ein abgegriffener Begriff mit vielen Phrasen geworden ist, nach dem Motto: „Sage dir jeden Morgen in den Spiegel, dass du dich liebst und dann wird alles gut.“

Wenn man beispielsweise nicht erklärt bekommt, welche Pfeiler das Selbstwertgefühl unterstützen und man stattdessen jeden Morgen „nur“ eifrig Affirmationen runterspult, aber im Alltag ganz anders handelt, dann ist das meiner Meinung nach nicht wirklich hilfreich. Spiegelarbeit und positive Vibes Glitzer et cetera sind toll, solange sie nicht nur die Funktion von einer Blümchensalbe haben, die eine tiefe bohrende Wunde heilen soll.

5. Hat sich mein Unterrichtsstil verändert?

Als ich anfing, Yoga für Jugendliche anzubieten, bastelte ich ein detailliertes Konzept, welches ich für sinnvoll hielt. Ich nannte es „Bodyworkout meets Yoga – only for Teens“. Durch mein Studium und die Praxiserfahrung als angehende Lehrerin und psychologische Beraterin in der Schule, hatte ich von Anfang an keine Berührungsängste mit dieser Altersgruppe. Ich wollte Yoga für Jugendliche anbieten, damit sie sich selbst erkunden lernen und eigenverantwortlich ihr Leben anpacken. Ich dachte, dass sei vor allem eine körperliche Praxis, ohne dabei aktiv spirituelle Themen
anzusprechen. Ich wurde mit der Zeit eines Besseren belehrt, denn die Jugendlichen fragten aktiv nach spirituellen Themen, wie zum Beispiel nach den Chakren. Der Kurs wuchs in einen Unterricht mit Körper, Geist und Seele, es war kein Bodyworkout meets Yoga, sondern Yoga. Ich kann nicht sagen, dass sich mein Unterrichtsstil völlig verändert hat, aber meine Sichtweise. Ich kann meinen Unterrichtsstil so beschreiben: “Ich sehe dich und fühle dich. Mein Herzenskompass ist, dass du deinen fühlst und den Mut hast, ihn zu leben.“ Das ist bei Teens so und auch bei Erwachsenen, nur die Lebensenergie ist eine deutlich andere. Die Jugendlichen befinden sich in einer Transformationsphase, die teilweise so rasant verläuft, dass eine tiefe Verankerung in sich selbst utopisch ist.
Teilweise müssen sie innerhalb von Monaten lernen, ihren Körper neu zu bewohnen, weil er sich fast über Nacht komplett verändert hat. Nirgendwo anders kann man als Yogalehrer so erfahrbar lernen, in sein Wissen und in Yoga an sich zu vertrauen, als in dem Unterricht mit Jugendlichen. Nirgendwo im Yoga-Unterricht wird dein Herzensthema, deine Authentizität, deine Offenheit und deine Empathie so sehr gebraucht und entblättert, wie beim Unterricht Yoga für Jugendliche.

Der Entstehungsprozess des Buches „Online mit mir selbst“ hat mir noch bewusster gemacht, dass wir jungen Menschen viel mehr auf Augenhöhe begegnen sollten und viel mehr zuhören müssen. Das bedeutet für den Yogaunterricht, dass ich zwar einen tragenden Boden aus Fachwissen und Vorbereitung in den Kurs einbringe, aber dass ich vor jedem Kursbeginn frage: “Was ist euch heute wichtig? Was wollt ihr machen?“ und dann höre ich zu…

Unsere Chefredakteurin Andrea Helten hat übrigens einen klitzekleinen Beitrag zum Buch dazu gesteuert.

 

Infos zum Buch

Online mit mir selbst von Jacqueline Draheim-Frank ist 2021 im‎ tredition Verlag erschienen und kostet 18,90 €