Das Buch am Tisch: „Ich zähle jetzt bis Ommm“ von Andrea Helten
Yogabücher gibt es viele. Aber nur wenige, die so lebensnah und ehrlich daherkommen, wie das neue Buch von unserer Chefredakteurin Andrea Helten. Die Kinderyogaexpertin und Impulsgeberin möchte Familien mit „Ich zähle jetzt bis Ommm“ zeigen, wie sie entspannter und relaxter werden. Maike Schößler hat es gelesen und auf Alltagstauglichkeit geprüft. Hier liest du ihre Rezension.
„Hmmm, in welche Richtung soll wohl die Rezension von Andrea gehen?“, überlege ich und schiebe den Staubsauger vor und zurück wie meine Gedanken. Meine Augen bleiben an dem Haushaltsgerät hängen: „Yes. Genau da. Beim Staubsauger.“ Denn eben hier setzt Andrea Heltens Buch „Ich zähle jetzt bis Ommm“ an: beim Alltag. Dem echten Leben eben. Beim Spagat zwischen Beruf (Rezension schreiben) und Haushalt. Beim Versuch, kleine Fluchten und Me-Time-Momente in den Alltag zu integrieren und alle Bedürfnisse jeglicher Altersspanne unter einen Hut zu bekommen.
„Keine Familie ist immer und überall Ommm!“
Ich mag ja Staubsaugen. Hier freue ich mich nicht nur über den schnellen Effekt, sondern kann mich auch herrlich sortieren. Manchmal liegt eine gute Idee nur eine Teppichgröße entfernt. Eine Idee, die einem den Alltag erleichtert und direkt zum Punkt kommt. Und genau so funktioniert Andrea Heltens Buch „Ich zähle jetzt bis Ommm“. Ein Buch wie ein Buffett voller Staubsauger-Momente, sortiert nach Tageszeit und -form. Bei dem alle Altersklassen etwas finden, schnell und kompakt konsumierbar und einfach umzusetzen, herrlich down-to-earth.
Der Titel holt mich direkt ab. „Ich zähle jetzt bis Ommm“ ist keine Drohung, eher ein Versprechen. Nur drei Zählzeiten vom Ergebnis entfernt. 1, 2, Ommm. Denn so lockerflockig muten die einzelnen Übungen an und erfüllen den Zweck, auch die Menschen zu erreichen, für die Yoga und Achtsamkeit Neuland sind. Ohne großen Zeitaufwand versteht der Leser/die Leserin, um was es geht.
Ich blättere durch die Seiten. Beim ersten Querlesen zucke ich zusammen und muss laut lachen. Ich fühle mich ertappt als ich mir die Erklärungen zum Aufbau des Buches ansehe. „Und da hast du vielleicht ein wichtiges Meeting, während deine jüngere Tochter ein kleines Referat über, sagen wir mal, Nadelbäume halten muss. Also wieder unterschiedliche Bedürfnisse. Ergo unterschiedliche Übungen.“
Meine Tochter sitzt neben mir, schaut mich fragend an. Vor ihr – das Referat über Vogel-Arten, zu dem ich gerade noch meinen Senf dazu gegeben habe. Yes! Genau so läuft das Leben eben: Miteinander, durcheinander, anspruchsvoll, mal laut, mal leise und alle, die dran teilhaben, kommen mit eigenen Paketen daher. Andrea Helten weiß das aus eigener Erfahrung und streut diese mit privaten und sehr ehrlichen Anekdoten zwischen die Zeilen.
Das Buch ist kein klassisches Yogabuch. Es ist als Ratgeberin (ich nutze bewusst die feminine Form, weil ganz viel Andrea darin steckt) und als Begleitung durch den Tag gedacht. Es sitzt mit einem am Tisch, im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder hält einem die Tür offen zwischen Kindertaxi am Nachmittag und dem Abendessen nochmal innezuhalten. Und: es ist ein Buch für die ganze Familie, wie auch immer sie aussieht. Divers, klassisch, chaotisch, jung und alt vereint – eben wie Familie ist: vielfältig und unperfekt.
Diese Vielfalt unterstreicht die Autorin mit humorvoller Sprache und mithilfe liebevoller Zeichnungen. Heltens Bestreben ist es, den Leserinnen und Lesern den Druck zu nehmen, „jetzt auch noch Yoga und Achtsamkeit in den Alltag zu integrieren.“ Vielmehr möchte sie dazu einladen, dieses Unperfekte zu integrieren und für sich zunutze zu machen, ganz nach dem Motto „Kein Mensch ist perfekt, schalte mal einen Gang zurück und morgen ist ein neuer Tag.“
„Um dem inneren Kompass wieder folgen zu können, statt durchs Leben zu jagen,
musst du dich um dich selbst kümmern.“
Als Kinderyogalehrerin und Potentialentfalterin für Familien mit einem riesigen Erfahrungsschatz hat Andrea Helten eine Sammlung zusammengestellt, die für alle Familienmitglieder machbar sind. Das Repertoire reicht von aktivierenden Übungen, um ein Schnitzelkoma in der Mittagszeit zu vermeiden, bis hin zu Abend-Ritualen, die zusammenschweißen. Und selbst das geliebte Haustier wird nicht vergessen. Impulse aus der Verhaltenstherapie und dem Coaching sowie Tools aus dem Projektmanagement sollen den Familienalltag erleichtern.
„Wonder-Woman? Kann weg!“
In diesem Buch finden sich viele gute alte Bekannte – allseits bekannte Themen, aber in schönen neuen Beschreibungen herrlich plakativ übersetzt: So bedient sich Helten etwa bei den Marvel-Charakteren und zaubert aus dem viel zitierten Säbelzahntiger einen Hulk, um zu erklären, wie der Mensch auf Stress reagiert.
Aus diesem Grund würde ich das Buch sogar meiner vollzeitarbeitenden Akademiker-Freundin mit eigener Arztpraxis schenken, die drei Kinder hat und mit „meiner Esoterik“, so gar nichts am Hut. Die abwinkt, wenn ich mit Yoga oder Vollmond-Vibes komme. Dieses Buch würde ich ihr zumuten und ich weiß, dass sie Impulse findet für sich und ihre Familienmitglieder, weil es ohne Dogmen und Lehrauftrag daherkommt.
„Dankbarkeit ist quasi die Königin der Emotionen, denn wenn wir sie empfinden, öffnet sie unser Herz. Das ist kein Spiri-Stuss, sondern mittlerweile wissenschaftlich erforscht. Falls sich an dieser Stelle dein*e innere*r Kritiker meldet, (…), dann richte ihm von mir aus, er*sie solle mal kurz die Luft anhalten.“
„Ich zählte jetzt bis Ommm“ empfehle ich allen, die eine Familie haben. Die genau dieses Familienleben auf ein anderes Niveau bringen möchten mit weniger Tempo und Hamsterradgefühl. In der „Familie“ wieder den ursprünglichen Sinn hat: mit viel Liebe als Klebstoff, in der man den Anderen sieht, respektiert und sich mal herzlich in den Arm nimmt. Hier ist die Gebrauchsanweisung dafür. Aber Obacht, manchmal sitzt das Buch auch mit am Frühstückstisch!